ArchitekurWerkstatt Vallentin

 

Die gewachsene Mitte

“Sorgt gut für die Menschen und das kostbare Leben zwischen den Häusern”

Jan Gehl Stadtplaner & Humanist

Die gestellte Raumplanungsaufgabe erfordert eine außerordentliche planerische Sensibilität. Boxdorf braucht ein starkes identitätsstiftendes Zentrum, das Vorbildfunktion übernimmt und eine Vermittlung zwischen „Neuer Mitte“ und „Altem Boxdorf“ schafft. Boxdorfs Geschichte bildet vor diesem Hintergrund eine Basis und ein Potenzial für die Planung. Das entwickelte Konzept, erzeugt durch seinen selbstständigen Charakter neue qualitätsvolle Räume im Kontext, reagiert auf den Bestand und ergänzet diesen behutsam. Durch diese Methodik kann Boxdorf Synergieeffekten von alt und neu voll ausschöpfen.

Die gewachsene Mitte

Der städtebauliche Leitgedanke des vorliegenden Entwurfs behandelt nicht wie herkömmlich zuerst die Architektur der neuen Bauwerke, sondern die des Bestands, der Plätze und Zwischenräume. Das entstandene Gefüge bindet die beiden erhaltenswerten und identitätsstiftenden Bauwerke der alten Ziegelei ein und stärkt sie durch das Schaffen von Sichtachsen mit Blick auf beide Gebäude. Gleichzeitig wird um die beiden Bauten der Raum aufgespannt und so eine Sequenz von drei unterschiedlichen öffentlichen Plätzen von der Boxdorfer Hauptstraße bis zur Alten Ziegelei geschaffen. Das starke und feinmaschige Netz öffentlicher Räume und Plätze schafft ein Raumkontinuum und bestimmt die Baubereiche. Mit der Kleinteiligkeit, den unterschiedlichen Plätzen, der Bebauungsstruktur, den differenzierten Öffentlichkeitsgraden und dem Bezug auf die beiden ortsprägenden Bauten wird der Mensch als natürlicher Teil der Quartiersentwicklung verstanden und nicht als außenstehender Nutzer. Die „Neue Mitte“ ist ein maßgeschneiderter Treffpunkt für den sozialen Austausch und Begegnungen zwischen den Bewohner*innen Boxdorfs und Besucher*innen.

Die entstandene Folge von kleineren, miteinander verknüpften Plätzen wird definiert von besonderen Gebäuden. Sie beginnt im Norden an der Boxdorfer Hauptstraße mit dem „Kirschbaumplatz“, an welchem der Kirchweihbaum an prominenter Stelle aufgestellt wird und leitet über den „Marktplatz“ vor der neuen Markthalle zum „Boxdorfer Hauptplatz“ der mit giebelständigen Hausfassaden eine heterogene, scheinbar gewachsene Kulisse bildet, von hieraus gelangt man über einen länglichen Platz, „das Grüne Band“ in Richtung Süden zum Fußballplatz, sowie den Spazier- und Radwegen in Richtung Nürnberger Innenstadt.

Gewerbliche Nutzungen sind vorwiegend an der Boxdorfer Hauptstraße orientiert, sowie zu den neuen Plätzen, Gastronomie und kleine Läden bespielen hauptsächlich die Erdgeschosszonen der besonderen Bauwerke. Die historischen Bauwerke der Ziegele erhalten mit dem Nahversorger und dem Jugendbüro, sowie einem kleinen Bürger*innen- und Kino Saal besondere oder stark frequentierte Nutzungen.

Kärwa

Die Boxdorfer Kirchweih findet mit dem Aufstellen des Kirchweihbaumes den Auftakt auf dem Kirschbaumplatz. Vor der Markthalle finden die großen Fahrgeschäfte Platz und der Hauptplatz wird mit dem Festzelt und einem Biergarten bespielt. Kleinere Buden säumen die Plätze einschließlich des Grünen Bands. Die Kirchweih verschmilzt mit der Neuen Mitte, als wäre sie schon immer da gewesen.

Dörfliche Strukturen neu interpretieren – der Hof

Für die Neue Bebauung greift der Entwurf die Potenziale dörflicher Siedlungsstrukturen auf und verstrickt diese miteinander. Das vorhandene Straßendorf und die heterogenen Reihenhausstrukturen werden durch sechs Höfe ergänzt eine Dorfstruktur, bei der mehrere Gebäude um einen kleinen Platz „verstreut“ liegen. Die sechs entstandenen Höfe ordnen sich entlang der „Neuen Mitte“ an. Durch die Orientierung der einzelnen Baukörper reagieren die Höfe „spielerisch“ auf das komplex zugeschnittene Grundstück und können es ganz ausnutzen. Ein Hof wird durch unterschiedliche Gebäudetypologien gebildet, wodurch eine diverse Nachbarschaft entsteht. Die autofreien Wohnhöfe bilden einen privaten und ruhigen Charakter, sie wirken identitätsstiftend und stärken die Zugehörigkeit der Bewohnenden zur jeweiligen engeren Nachbarschaft. Zweigeschossige Reihenhäuser beziehen sich in ihrer Größe auf die umgebende Bebauung und schaffen einen Brückenschlag zum Geschosswohnungsbau, der sich zur „Mitte“ orientiert. Der Geschosswohnungsbau schafft eine städtebaulich notwendige Dichte, die durch eine Verknüpfung der Baukörper im Zentrum zusätzlich verstärkt wird. Je Hof gibt es ein Angebot an Gemeinschafts- und Coworking Räumen.

Qualitative Freiräume definieren

Das feinmaschige Freiraumnetz wird durch drei Typologien gegliedert – Platz, Park, Hof. Die drei Plätze, welche die Platzsequenz bilden sind der «Kirschbaumplatz», der «Marktplatz» und der «Boxdorfer Hauptplatz». Das Tor und den Auftakt zum Areal bildet der «Kirschbaumplatz», dessen Namen an die Familie Kirschbaum erinnert. Die umgebenden Gebäude, sowie die hier angebotenen Parkplatzflächen sind in Staudeninseln eingebettet, welche mit malerischen Gehölzen ergänzt werden und in ihrer Massstäblichkeit an die umgebenden Gärten erinnern. Die mittig angelegte chaussierte (wassergebundene) Fläche begrenzt die Verkehrsflächen und kann frei bespielt werden. Der sich angliedernde «Marktplatz» befindet sich direkt vor der Markthalle. Hier kann bei einem gemütlichen Kaffee dem Treiben auf den Plätzen zugeschaut werden. Für das Einkaufen stehen hier, neben den Stellplätzen im Mobility Hub, Kurzzeitparkplätze zur Verfügung. Der «Boxdorfer Hauptplatz» wird zu einem Bindeglied zwischen den genannten Plätzen, dem «Grünen Band», sowie den Höfen. Während bei den vorangegangenen Plätzen die Seiten begrünt werden wird hier die Mitte des Platzes begrünt. Über den gesamten Platz wird eine organische Form gelegt, welche im Inneren von einem Schotterrasen bespielt wird, die Ränder werden von einer Ruderalvegetation gefasst. Es entsteht eine grüne Insel, die dank der gewählten Materialen während sowie ausserhalb der geplanten Feste problemlos bespielt werden kann. Die gezielt gesetzten Gehölze leiten die Blicke auf die Fassaden der umliegenden Gebäude und insbesondere auf die Alte Ziegelei. Durch grossflächige Entsiegelung kann das oberflächlich anfallende Wasser vor Ort versickert werden.

Das «Grüne Band» schlängelt sich bewusst durch die Gebäudevolumen. Die organischen Formen bilden geschwungene Wege, von welchen die Flora und Fauna der Stauden- und Ruderalflächen beobachten kann. Offene Retentionsbereiche säumen den Weg und verstehen sich als leitende Elemente, räumlich wie auch ökologisch. Im Schatten der Bäume kann man pausieren, spielen, sich treffen und plaudern. Dieses Band ist das Rückgrat der Siedlung und unterstreicht das Streben nach einem stark durchgrünten Quartier.

Die Höfe unterteilen sich wie folgt: Der «Nachbarschaftshof» soll als Treffpunkt für das gesamte Quartier dienen. Die grosszügige Gestaltung ermöglicht das Beisammensein und den Austausch mit den Anwohner*innen und Besucher*innen. Der «Gemeinschaftshof» dient als Aussenraum für die Pflegeeinrichtung und fördert das generationenübergreifende Zusammensein. Hier bespielen grüne Inlays die Höfe, welche mit Bäumen ergänzt werden. Der «Werkhof» und der «Gartenhof» sind ruhige Rückzugsorte, die einen eher privaten Charakter aufweisen. Die Seiten werden mit Stauden bespielt und schaffen Nischen entlang der Wege. Im Süden des Perimeters befinden sich die «Wohnhöfe». Diese zeichnen sich durch eine grüne Mitte aus, welche an den Seiten mit Staudenflächen und Spielelementen bespielt werden. Ein Treffpunkt für Familien.

Zusammengefasst entsteht ein neues lebendiges Quartier, das Vertrautem Raum gibt. Es entsteht ein sozial durchmischtes Quartier, das unterschiedlichste Nutzungen ermöglicht und dabei die künftigen klimatischen Herausforderungen berücksichtigt. Aufgrund minimaler unterirdischer Bebauung können in vielen Bereichen grosse Bäume gepflanzt werden. Wo immer es möglich ist, werden Flächen entsiegelt. Durch die Retention des Niederschlagswassers und der vielseitigen Bepflanzung entstehen unterschiedlichste Biotope und Trittsteine für die Fauna. Da viele der bestehenden Gehölze erhalten werden können, ist bereits ein ökologisch wertvoller Baustein vorhanden! Es wird ein wichtiger Beitrag zum Thema Klimahaushalt und Hitzeminderung geleistet und zugleich der Zierde, dem Spiel von Licht und dem Erleben der Jahreszeiten Platz gegeben.

Vielseitige Architektur

Die geplanten Gebäude sind so konzipiert, dass sie als Typus funktionieren. Der Laubengangtypus kann je nach Wohnungsanzahl in der Länge angepasst und bei Bedarf um ein zusätzliches Treppenhaus ergänzt werden. Die Laubengänge dienen als Begegnungszonen für die Bewohner*innen und sind vor Privaträumen von der Fassade abgerückt. Die Punkthäuser sind als Flachdachtypen konzipiert und bilden einen städtebaulichen Kontrastpunkt zu den vorherrschenden Giebeldächern. Reihenhäuser können leicht um eine Einheit verkürzt oder ergänzt werden. Konstruktive Fragestellungen werden möglichst einfach und robust beantwortet, um eine hohe Langlebigkeit zu ermöglichen. Gebäudevolumen werden kompakt gehalten, um wärmebrückenfrei und energieeffizient zu planen. An den Plätzen bilden Loggien private Räume im Freien, zu den Wohnhöfen schaffen Balkone Leben in den Freiräumen und bieten durch außen liegende Vorhänge einerseits Schutz vor Sonneneinstrahlung, ermöglichen aber auch Privatsphäre.

Zeitgemäß Wohnen

Der Wohnungsmix im Geschosswohnungsbau kann flexibel angepasst werden und reicht von kleinen Singleapartments zu großen Familienwohnungen. Durch die Flexibilität entsteht eine heterogene Bewohnerschaft in jedem Hof. Das Konzept wird zeitgemäßen Anforderungen an geförderten als auch freifinanzierten Wohnraum gerecht. Häuser und Freiflächen sind vollständig barrierefrei konzipiert, Sonderwohnformen wie Seniorenwohnungen, rollstuhlgerechte Wohnungen, Betreutes Wohnen für Beeinträchtigte und Wohngemeinschaften können einfach integriert werden. Schaltwohnungen sind so angeordnet, dass sie als eigenständige Singleapartments funktionieren oder Wohnungen zugeschaltet sein können. Wohnungsgrundrisse bieten zusätzlich durch Schalträume Ausbaumöglichkeiten für Familienzuwachs.

Mobilität & Erschließung

Um die Neue Mitte für die Bewohner*innen zu aktivieren wird ein autoreduziertes Quartier entwickelt. Hierfür werden Oberirdische Stellplätze auf ein Minimum reduziert, zwei Mobility Hubs im Norden und im Süden, sowie zwei Tiefgaragen bilden im Hintergrund ein Funktionsfähiges Mobilitätskonzept. Je nach Bedarf können die Tiefgaragen je Hof erweitert werden oder anstelle ein weiteres Mobility Hub hinzukommen. Das Mobility Hub ist als robustes, funktionales Regal entwickelt, welches in einem standardisierten Raster, sowohl PKW-Stellplätze als auch Wohnungen integrieren kann. Im vollkommen begrünten Gebäude finden Carsharing Angebote, Elektromobilität und Lastenräder Platz. Damit das Gebäude nicht den städtebaulichen Maßstab sprengt wurde die Gebäudegröße auf ein Minimum reduziert. Pendler*innen wird ein Stellplatz im Erdgeschoss vorbehalten, weitere Stellplätze in den Obergeschossen sind über einen platzsparenden Autolift als Galerieheber ohne Schacht zu erreichen – hierdurch bleibt eine große Rampenanlage erspart. Bei einem Ausbau der Obergeschosse zu Wohnungen kann der Lift erst ein Geschoss weniger befahren und später gänzlich ausgebaut und wiederverwendet werden.

Die Haupterschließung des Areals durch den motorisierten Verkehr erfolgt über die Boxdorfer Hauptstraße und die Thomas-Dehler-Straße. Die Fritz-Erler-Straße wird im Platzbereich, zwischen Boxdorfer Hauptstraße und Alte Ziegelei, als öffentlicher Raum und nicht als klassische Straße ausgestaltet. Die Straße darf jedoch weiterhin durch den motorisierten Verkehr befahren werden, was grundsätzlich für den asphaltierten Bereich innerhalb des Areals gilt. Auf den asphaltierten Flächen teilen sich die verschiedenen Verkehrsteilnehmer den Raum und die Geschwindigkeit orientiert sich an den Bewohnerinnen und Bewohnern, namentlich an den zu Fussgehenden und Fahrradfahrenden.

Wirtschaftlichkeit und klimagerechtes Bauen

Wohngebäude sind abgesehen von den besonderen Bauwerken maximal dreigeschossig vorgesehen, hierdurch kann die Gebäudeklasse III erreicht werden. Die Anforderungen an die Bauphysik werden bei einem reinen Holzbau dadurch erheblich erleichtert, Baumaterialien müssen keine erhöhten Brandschutzanforderungen erfüllen, wodurch mineralische Bekleidung verhindert und ökologische Baumaterialien – insbesondere als Dämmmaterialien und Bekleidungen - verwendet werden können. Durch die optimierte, einfache Holz-Bauweise in Kombination mit einem Wohnungskatalog als Vorlage für modulares Bauen werden die Bauzeiten erheblich reduziert. Baukosten sinken durch die kostengünstige Vorfertigung. Treppenhäuser und Laubengänge zur Erschließung werden als aussteifendes Rückgrat in Stahlbeton aus Fertigteilen errichtet. Zirkuläres Bauen und moderne Holzbauweise greifen ineinander und reduzieren den Ausstoß von grauer Energie. Ziel ist es schon in der Errichtung eine klimaneutrale Neue Mitte zu schaffen.

  

Energiekonzept

Das Energiekonzept aus Kombination von Geothermie/ Grundwasser, Wärmepumpe, Photovoltaikanlage und hohem energetischen Gebäudestandard führt zu einer weitgehenden Autarkie der Neuen Mitte. Die gesamten Dachflächen werden für Photovoltaikmodule genutzt. Die Energieerzeugung (Grundwasserwärmepumpe) und die dezentralen Lüftungsgeräte mit Wärmerückgewinnung sind stromgebunden und stellen Heizbedarf und Warmwasserbedarf sicher. Warmwasser wird dezentral über Frischwasserstationen bereitgestellt. Alle Heizenergie ist damit stromgebunden und kann die PV Anlagen in Verbindung mit Speichertechnologie und einer umfassenden Regelungstechnik optimal nutzen. So wird auch der Haushaltsstrom weitgehend autark hergestellt. Eine Vernetzung im gesamten Quartier unterstützt dieses Konzept. Ermöglicht wird dies durch den hochenergetischen Standard als Passivhaus oder EnerPhit. Die Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung laufen weitgehend ohne jegliche Wartung und benötigen lediglich einen halbjährlichen Filterwechsel. Ergänzend wird durch die Grundrissorganisation Querlüften ermöglicht, die Nachtkühlung erhöht den sommerlichen Wärmeschutz. Solare Gewinne sind durch maßvolle Verglasungen sichergestellt. Der Sonnenschutz ist konstruktiv durch auskragende Bauteile oder mit außenliegenden Vorhängen nachhaltig gelöst.

Durch das ganzheitliche Energiekonzept kann durch das geeignet gewählte Maß der Bebauung mit geringem Aufwand ein Plusenergie-Quartier entstehen, überschüssige Energie kann gespeichert, oder ins örtliche Stromnetz eingespeist werden und einen Beitrag für ganz Boxdorf liefern.

 
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